Hürden, schweres Gepäck und Ziele

Noch knapp vier Wochen bis zu meinem nächsten Trail-Halbmarathon in Dänemark. Knapp drei Wochen Trainingsrückstand, unfassbar viel zu tun und dazu noch persönliche Schicksalsschläge …

Es ist Montag, das Wetter ist beschissen, spontan fallen mir tausend gute Gründe ein, nicht laufen zu gehen. Es ist kalt, windig, der Regen kommt fast horizontal, aber immerhin dafür auch nicht wenig … Ich hadere mit mir. Eine Woche hatte ich Laufpause – wir waren mit der Familie zur Beerdigung meines Schwiegervaters, Familienzeit, wichtige Zeit, Zeit zum Innehalten. Ich brauchte den Lauf. Umso nervtötender waren die inneren Dialoge, die versuchten, mir das auszureden.

Nach einigem Hin und Her setzte ich einen Punkt. Ich laufe jetzt, Ende der Diskussion.

Öhm – ja, ich hab mit mir selbst diskutiert – du kennst diese inneren Dialoge sicher auch. Manchmal drehen sie sich um Ausreden, manchmal um kleine Selbstlügen, manchmal machen wir uns klein und reden uns ein, wir sind nicht gut genug, das lohnt sich doch eh nicht usw. Ich warf meine Regenjacke über – Schuhe an, Musik auf die Ohren – und trat vor die Tür. Meine innere Stimme nahm einen neuen Anlauf. „Du bist doch bescheuert.“ Ich ignorierte das und lief los. Die Beine waren schwer. Ich spürte eine ziemliche Last auf meinen Schultern, im unteren Rücken, in den Knien. Na wenigstens das Atmen ging im guten Rhythmus. Ich lief und meine Gedanken kreisten – Was, wenn ich nicht rechtzeitig fit werde? Lohnt sich die Fahrt nach Dänemark überhaupt? Eigentlich hab ich gar keine Zeit. Ich muss noch dies, das und jenes! Was muss ich heute noch machen? Was stand noch mal auf der To-do-Liste? Ich hab doch gar keine Zeit, ich glaub, ich lauf nur ne kurze Runde heute, zum Einstieg reicht das …

Kopfkino und Quatschies …

So ging es in meinem Kopf hin und her …

Neustart

… nach einem Kilometer hatte ich die Schnauze voll!

So ging es in meinem Kopf hin und her, nach einem Kilometer hatte ich die Schnauze voll. Stop! Ich spürte meine Knie, meinen Rücken, die Beine brannten und ich fühlte mich so langsam wie schon lange nicht mehr. So wollte ich nicht weiter laufen.

… schweres Gepäck

Ich hielt einen Moment inne, atmete tief ein und aus und besann mich auf meine Stärken. Was wollte ich? Wirklich? Was war mein Ziel? Welche Hürden gab es zu nehmen? Wie werde ich mein „Gepäck“ los, das so schwer auf meinen Schultern lastete?

Die Startlinie

…das schöne am Laufen

Das schöne am Laufen ist, du kannst dich jederzeit von Neuem an die Startlinie stellen. Also stellte ich mich an die virtuelle Startlinie. Ich stellte mir mich selbst als Coach zur Seite. Dieser Coach musterte mich und sah mich scharf an. „Du willst den ganzen Schrott mitschleppen? Die ganze Last?Als dein Trainer, dein Coach verbiete ich dir das. Du kannst alles hier lassen, hier an der Startlinie. Nimm nur das mit, was du wirklich brauchst.“ Ich fragte mich also, was brauche ich?… 

HIER! JETZT!SOFORT!

Spüren!

Körper! Präsenz! Leichtigkeit!

Ich brauche das Gespür für meinen Körper, Präsenz, Leichtigkeit, ein Lächeln, absolutes Sein im Hier und Jetzt. Nicht mehr, nicht weniger. Ok – noch ein bisschen Musik auf den Ohren. Und ich darf mir selbst mein Coach sein.

Gedanken!

Sie kommen und gehen …

Ich schüttelte meine Arme, meine Schultern und meine Beine aus, nahm einen tiefen Atemzug und lief wieder los. Hey, ich konnte es kaum glauben. Die Schmerzen in den Kien waren sofort verschwunden, die Schultern zogen nicht mehr wie verrückt nach unten. Und im Rücken? Nichts. Rein gar nichts. Ich lief locker los. Geschwindigkeit, Wetter, Gegenwind, Regen – ich spürte alles, spürte in meinen Körper hinein, jeden Schritt. Eine Wohltat. Ich war noch immer langsam unterwegs, doch jetzt fühlte es sich leicht und vor allem richtig an. Mein Körper gab mir den Rhythmus vor. Der Atem passte, die Gedanken kamen und gingen gleich wieder. Ich hatte schlicht keine Lust, ihnen Raum zu geben. Während ich locker weiterlief, fragte ich mich, was das jetzt konkret bedeutete.

THY TRAIL MARATHON

Warum wollte ich an dem Marathon teilnehmen? Was war mein Ziel?

Mein Ziel ist die Teilnahme selbst. Spaß haben in der wunderbarsten Natur, Herausforderungen meistern, die mir schon mal ein „Ihr seid doch bescheuert.“ gedanklich herausrutschen ließen und mich mit dem Lauf für meinen gegangenen Weg belohne

Ich hatte dieses Ziel aus den Augen verloren. Ich wollte mir so große Hürden aufbauen, dass ich mir hätte sagen können: Dieses Jahr macht es keinen Sinn, du bist nicht gut genug trainiert, es gibt zu viel anderes zu tun usw. Heute war der Tag, an dem ich das erkennen durfte. Wollte mir mein Unterbewusstsein doch mal wieder einen Streich spielen oder besser mir mein Ziel madig machen und damit auch Beweise für mich schaffen: Ich bin nicht gut genug. Wem willst du was beweisen, wenn du unter ferner liefen durchs Ziel kommst …

… aus den Augen, aus dem Sinn!

Hürden

… darum sind sie wichtig!

Hürden sind wichtig. Sie helfen mir beim Wachsen. Mal sind sie real, mal einfach nur in meiner Vorstellung. Mal kann ich sie durchbrechen, mal umgehen, mal überspringen. Sie sind da, damit ich im Prozess Lösungen finde, um sie zu überwinden. Prozess oder auch Progress bedeutet fortschreiten, entwickeln, weiterentwickeln, Aufbruch oder auch Prozedur und auch Fortgang, Ablauf, Vorgang.

Wenn ich also auf meine Hürden treffe, so ist es meine Aufgabe, schon auf dem Weg zur Hürde mich dahingehend zu entwickeln, dass ich auf die Hürde entsprechend reagieren kann. Mal ist es einfach durchrennen, mal drüber springen, drüber klettern oder drum herum laufen. Also einfach die beste Lösung finden, lernen, trainieren, wachsen und geschafft.

Meine heutige Hürde war, erst mal meine Intention wiederzuentdecken. Dazu durfte ich erst mal verschiedenste Dinge loslassen, aufhören, auf Stimmen zu hören, die nichts zu sagen hatten und tief in mich hinein zu spüren, was meine Intention und mein „Warum“ ist. In dem Augenblick, wo ich diese Intention wieder gespürt habe, konnte ich meinen ganzen Ballast loslassen, liegen lassen an der Startlinie. Ich konnte mir als Coach zuhören und spürte sofort die Veränderung.

Intention …

Klar, trotz Trainingsrückstand

Meine Intention war mir jetzt wieder klar und deshalb fiel das Laufen auch wieder leicht, auch wenn ich anschließend Muskelkater hatte. Trainingsrückstand ist halt Trainingsrückstand. Trotzdem mental richtig zu handeln und auf den Körper zu hören, selbst wenn leicht über Grenzen gegangen wird, ist eine weitere Hürde.

… was bedeutet das für den Rest meines Lebens?

Was bedeutet das denn für den Rest meines Lebens? An welchen Stellen laufe ich mit schwerem, anstatt leichtem Gepäck? Bei welchen Zielen habe ich meine Intention verloren oder vergraben? Wer quatscht mir da hinein, wo ich im Augenblick nicht vorankomme? Was sind für Hürden aufgetaucht, auf die ich nicht richtig reagiere und damit hängen bleibe, anstatt sie zu überwinden? Ist es schlimm, dass ich hängen geblieben bin? Nein, denn es gibt mir die Chance, nach einer neuen, besseren Lösung zu suchen. Einer Lösung die kongruent mit meiner Intention und meinem „Warum“ ist.

Sind Intention und „Warum“ nicht das Gleiche?

Sind Intention und „Warum“ nicht das Gleiche? Nein, da ist ein kleiner Unterschied. Der ist jedoch entscheidend. Meine Intention ist der persönliche, nur mich selbst betreffende Grund. Mein „Warum“ ist übergeordnet. Bezogen auf meine Marathonteilnahme bedeutet das Vorbild sein, andere begeistern, denn wenn ich als ehemals überzeugter Nichtsportler an einem solchen Wettkampf teilnehmen kann, dann kannst du das auch. Und Fakt ist, je mehr Menschen sich selbst etwas zutrauen, sich selbst in Bewegung setzen, etwas für sich und die eigene Gesundheit tun und damit ihr Lebensglück, ihre Lebensfreude in die eigenen Hände nehmen, umso besser wird die Welt.

Überprüfung

Welche Ziele sind noch wichtig?

Welche meiner Ziele bedürfen jetzt einer Überprüfung? Wo darf ich loslassen, wo darf ich neu entdecken, wo darf ich ohne Gepäck weiter machen? Leichtigkeit, Lebensfreude und damit auch Freiheit entsteht für mich genau durch diese Prozesse. Hartnäckig dranbleiben, ja. Jeden Tag eine Kleinigkeit in Richtung meiner Ziele gehen? Ja, auf jeden Fall. Hadern, wenn eine Hürde auftaucht? Sicher nicht. Ohne meine Intention weitermachen? Ebenfalls nicht. Denn, wenn ich ohne Intention, ohne mein „Warum“ Dinge tue, dann werden sie schwer und ich muss dafür kämpfen. Ich will nicht kämpfen, weil dieser Kampf wäre gegen mich selbst und das wäre total dämlich. Zumindest in meiner Welt.

Kämpfen?

Will ich das?

Kämpfen ist grundsätzlich nicht schlecht. Ich spüre für mich hier jedoch einen Unterschied im Kampf. Es gibt den Kampf, um ein Ziel zu erreichen, kongruent mit der eigenen Intention und den Kampf gegen mich selbst, gegen meine Intention, nur um ein Ziel zu erreichen, das gar nicht oder nicht mehr mein Ziel ist.

Ich habe früher immer gekämpft, musste immer kämpfen, denn wenn ich für etwas nicht kämpfen musste, so war es nichts wert. Heute unterscheide ich. Kämpfen – ja, wenn es drauf ankommt, es zu meiner Intention passt, sonst nicht.

Habe ich das alles während meines Laufs gedacht? Nein, nicht gedacht, sondern gespürt. Ich bin gelaufen, habe jeden einzelnen Schritt gespürt, habe den Regen und den Wind gespürt, habe jede einzelne Muskelfaser gespürt und war ausschließlich im Hier und Jetzt. Ein fast hypnotischer Zustand, gerne auch als Flow empfunden. Ich habe in den letzten Tagen viel über diesen Lauf reflektiert und habe analysiert, was genau da passiert ist und was das jetzt konkret für mich und mein Leben bedeutet.

Kämpfst du noch oder lebst du schon?

Ich bin dankbar, dass ich heute dazu in der Lage bin, so zu reflektieren, sonst wäre es vermutlich ein Kampf geworden – gegen mich selbst, meine Werte, meine Freiheit und mein Lebensglück. Gut, dass ich anders entscheiden konnte.

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